09. Dezember 2015 | 10:48 Uhr

zugvögel.jpg © APA/dpa-Zentralbild/Stefan Sauer

Experten warnen

Zugvögel vom Klimawandel stark bedroht

Klimawandel ist bereits jetzt eine Gefahr für die 50 Mio. Zugvögel.

50 Milliarden Zugvögel gibt es weltweit. Der Klimawandel droht ihre Zahl zu dezimieren. Schon jetzt seien Anpassungsprobleme messbar, warnte der Chef der Vogelwarte Helgoland, Franz Bairlein. Laut dem niederländischen Ornithologen Leo Zwarts sind speziell die "Langzieher" betroffen: Ein Viertel der europäischen Vögel überwintert südlich der Sahara; bei 60 Prozent sind die Bestände zurückgegangen.

Halbiert
Die US-Umweltbewegung National Audubon Society erwartet, dass es im Jahr 2050 in Nordamerika nur noch halb so viele Vögel geben wird wie zu Beginn des Jahrhunderts. Die Experten sind sich zugleich aber einig: Viele Zugvögel passen sich schrittweise an die neuen Verhältnisse an. In der schwierigen Übergangsphase können die Menschen oftmals helfen.

Während in diesen Tagen die Pariser UN-Klimakonferenz Wege zur Begrenzung der Erderwärmung diskutiert, trafen sich weltweit führende Vogelforscher schon im vergangenen Winter in Israel, um die Auswirkung des Klimawandels auf den Vogelzug und erfolgreiche Gegenmaßnahmen zu diskutieren.

Länger im Norden

Der Oldenburger Professor Bairlein kann sich dank eines "Fanggartens" und einer Beringungsstation auf Helgoland auf Daten aus einem Jahrhundert stützen. Mit ihrer Hilfe konnte er nachweisen, dass nahezu alle Vogelarten nun früher in ihren Brutgebieten eintreffen. Insgesamt verlängert sich die Aufenthaltszeit im Norden.

Dadurch werden die Tiere häufiger mit Extremwetter und Nahrungsengpässen konfrontiert: Die Jungvögel schlüpfen, wenn das Futterangebot noch knapp ist. Die neuen Generationen sind weniger fit: Die anstrengenden Reisen ins Winterquartier überleben deshalb weniger Vögel, die Brutrate sinkt, warnte Bairlein.

Mensch kann helfen

Doch nicht alle Daten sind alarmierend: Laut Vogelkundler Zwarts, der sich auf den Vogelzug nach Westafrika spezialisiert hat, nehmen zugleich die Bestände einzelner Gattungen zu: Ein geringerer Pestizid-Einsatz in der Landwirtschaft sowie Jagdverbote kämen insbesondere Weißstörchen, Seidenreihern und Fischadlern im Mittelmeerraum zugute. Diese und andere Arten profitierten zudem zum Teil von den milderen Wintern und verblieben in Südeuropa, statt bis nach Afrika zu fliegen, berichtete der Niederländer bei der hochkarätig besetzten Expertenkonferenz, die Israels führender Ornithologe Jossi Leschem mit der deutschen Botschaft in Herzlia organisierte.

Leschems US-Kollege Scott Weidensaul nannte zwei Beispiele, wie der Mensch Zugvögeln bei der Anpassung an die Klimafolgen helfen kann. Zum einen wurden die Küken von Bermuda-Sturmvögeln in künstlich angelegte Nisthöhlen umgesiedelt, die nicht vom steigenden Meeresspiegel bedroht sind.

Papageitaucher
Aufwendiger war die Hilfe für Papageitaucher im Golf von Maine. Die aufgrund der Wassererwärmung zugewanderten Butterfische waren für die Seevogelküken zu groß als Futter, 2013 überlebten von ihnen nur noch zehn Prozent. Den Umschwung brachte die künstliche Ansiedlung von Schellfischen und Stachelköpfen: Ihr Nachwuchs hatte für die Küken der Papageitaucher die richtige Schluckgröße.

Wie stark der Klimawandel den Zugvögeln global zu schaffen machen wird, hängt letztlich davon ab, wie schnell sich diese anpassen können. "Dazu müssen wir ihnen möglichst viel Zeit verschaffen, also gute Habitate anbieten", forderte Marcelo Sternberg, Biologieprofessor in Tel Aviv. Dies gelte für die Brut- und Winterquartiere genauso wie für die wichtigsten Zwischenstationen auf den Vogelzugrouten, zu denen das Jordantal mit jährlich zweimal 500 Millionen durchziehenden Vögeln zählt. Dies schließe die Einrichtung von ökologischen Korridoren entlang dieser Routen ein.

Beispielhaft ist das Vorgehen im Hula-Tal nördlich des See Genezareth. Dort überwintern inzwischen zehntausende Kraniche, die hier früher auf dem Weg nach Ostafrika nur Zwischenstation einlegten. Auch Rosapelikane machen es ihnen in kleineren Gruppen nach.

Leschem und der israelische Naturschutzverband brachten Fischfarmer und Landwirte dazu, die Wintergäste zweimal täglich an immer gleichen Plätzen zu füttern, um sie von den eigenen Teichen und Feldern abzuhalten. Das Spektakel wurde zugleich zu einer Touristenattraktion, die den regionalen Fremdenverkehr fördert.