19. Juli 2016 | 10:54 Uhr
Klimawandel
Eisschmelze in Grönland ändert unser Klima
Was passiert, wenn das Grönland-Eis schmilzt?
Die Eismassen Grönlands schmelzen - mit unklaren Auswirkungen auf das Klima. Hinweise darauf, was passieren könnte, findet man in der Geschichte: Vor 10.000 Jahren schmolz ein riesiger Eispanzer in Nordamerika. Das Schmelzwasser hat das Klima in Europa und Nordwestafrika tiefgreifend beeinflusst, berichten Forscher, darunter ein Innsbrucker Geologe, im Fachjournal "Nature Geoscience".
Das Winterwetter in Nordwesteuropa und im Mittelmeerraum wird maßgeblich durch die sogenannte "Nordatlantische Oszillation" beeinflusst. Dabei handelt es sich um die Schwankungen des Luftdruck-Gegensatzes zwischen dem Azorenhoch und dem Islandtief im Nordatlantik.
Was ist die Nordatlantische Oszillation?
Vorerst sind nur die Mechanismen für das Wetter im Winter verstanden: Bei stark ausgeprägtem Golfstrom ist dessen Einfluss auf die Bildung starker Druckgegensätze zwischen Azoren und Island gross (positiver NAO-Index). Das Wetter in Europa ist von Westwinden geprägt, die milde und feuchte Luft heranführen.
Kühlt sich hingegen der Golfstrom stark ab, ist auch der Luftdruckgegensatz zwischen Island und den Azoren geringer (negativer NAO-Index). Die Drucksysteme sind weniger stark ausgebildet, die Westwinde erlahmen und die sibirische Kaltluft kann ungehindert nach Europa fliessen. Diese Winter sind frostig und kalt.
Der NAO-Index gibt an, wie stark der Druckgegensatz zwischen Island und Azoren ist. Man stellt einen gewissen Zusammenhang zum europäischen Winterwetter fest. Ob man mit dem NAO-Index auch das Sommerwetter vorhersagen kann, ist ungewiss.
Was passiert, wenn Grönland-Eis schmilzt?
Ein internationales Forschungsteam aus Deutschland, Österreich und Marokko wollte wissen, wie sich die "Nordatlantische Oszillation" verhält, wenn Eisschilde und Gletscher rund um den Nordatlantik abschmelzen - wie derzeit in Grönland, bedingt durch den Klimawandel.
Um das herauszufinden, nutzten sie Tropfsteine aus Nordwestmarokko und Westdeutschland als Klimaarchiv. Einen wesentlichen Beitrag dazu lieferten mehrjährige Messungen von Christoph Spötl vom Institut für Geologie der Universität Innsbruck.
Niederschlags-Abtausch
Es zeigte sich, dass die Niederschlagsmengen im mittleren Holozän (vor 8.000 bis 4.000 Jahren) und im vorindustriellen Zeitalter um das Jahr 1800 über mehrere Jahrzehnte bis Jahrhunderte hinweg in Nordwestafrika und in Nordwesteuropa unterschiedlich waren. Gab es in einer der beiden Regionen weniger Niederschlag, bekam die andere Region viel Wasser ab, und umgekehrt.
Das ist genau so wie heute: Derzeit ist das Klima in Nordwestafrika trocken, wenn in Nordwesteuropa ein feuchtes Winterklima vorherrscht, und umgekehrt. Im frühen Holozän (vor 11.700 bis 8.000 Jahren) war es dagegen in beiden Regionen gleichzeitig feucht bzw. trocken.
Riesige Eisschmelze führte zu Veränderungen
Als mögliche Erklärung für die damalige Klimasituation nennt der Erstautor der Arbeit, Jasper Wassenburg von der Universität Mainz, das endgültige Abschmelzen des nordamerikanischen Eisschildes im frühen Holozän, der während der letzten Eiszeit große Teile Kanadas bedeckte. Gewaltige Mengen an Schmelzwasser flossen dabei in den Nordatlantik und veränderten dessen Strömungsmuster.
Zusätzlich dürfte die Eisschmelze auch Auswirkungen auf die Luftströmungen gehabt haben. Computersimulationen zeigten, dass nur eine kombinierte Wirkung des Abschmelzens auf die atmosphärische und ozeanische Zirkulation die rekonstruierten Niederschläge erklären kann.
Phänomen könnte wieder auftreten
Ein ähnliches Szenario wie im frühen Holozän sei auch heute durchaus möglich, wenn sich in der Zukunft das Abschmelzen des grönlandischen Eispanzers markant beschleunigen sollte, betonen die Forscher. Das könnte das Muster der Nordatlantischen Oszillation wieder grundlegend ändern - mit weitreichenden Folgen für die Niederschlagsverhältnisse in Europa und Nordwestafrika.
Allerdings gebe es entscheidende Unterschiede zwischen den aktuellen klimatischen Gegebenheiten und jenen im frühen Holozän. Deshalb sei ein Einfluss auf die Nordatlantische Oszillation nur schwer vorauszusagen. "Entscheidend wird die Menge des Schmelzwassers sein, vor allem aber die Geschwindigkeit, mit der das Abschmelzen von statten geht", erklärte Spötl in einer Aussendung der Uni.