06. Februar 2023 | 09:09 Uhr

Eindringlicher Appell

Lawinenexperte: Lage bleibt kritisch

Der Lawinenwarndienst sieht ein sogenanntes "Klumpenrisiko", dazu Leichtsinn und Holschuld bei den Skifahrern.

Der Tiroler Lawinenwarndienst sieht angesichts der Vielzahl an tödlichen Lawinenereignissen ein klassisches "Klumpenrisiko" gegeben und ortet einmal mehr, trotz zahlreicher Warnungen, Leichtsinn und Selbstüberschätzung der Wintersportler. Das "Klumpenrisiko" bestehe im Zusammenkommen mehrerer Faktoren wie den erfolgten starken Schneefällen samt Wind, nunmehrigem Sonnenschein sowie vielen Leuten im freien Gelände, sagte Patrick Nairz vom Lawinenwarndienst im APA-Gespräch.

Letzteres sei nicht zuletzt auch auf die beginnenden Semesterferien zurückzuführen. Man könne einfach nicht noch mehr vor der gefährlichen Lawinensituation warnen, als man es in den vergangen Tagen getan habe, so Nairz, nicht zuletzt auch in Anspielung auf die ausgegebene Stufe 4, also große Lawinengefahr. Alle Informationen würden zur Verfügung gestellt und ständig "hinausposaunt": "Es besteht einfach eine Holschuld der Wintersportler", appellierte der Experte, sich genau zu informieren. Das gelte sowohl für jene, die sich für erfahren genug im alpinen Gelände halten als auch erst recht für alle anderen.

Video zeigt einen Lawinenabgang letztes Jahr in Lech:

 

 

 

Dringende Bitte auf gesicherten Pisten zu bleiben

Aber primär wäre es bei solchen Verhältnissen dringend angeraten, ganz einfach mal "Verzicht zu üben" und davon abzusehen, sich in die Berge, das heißt in den freien Skiraum, zu begeben. Man könne so viele andere Dinge auch im Tal unternehmen: "In die Sauna gehen oder was auch immer." Oder ganz einfach auf den gesicherten Pisten bleiben.

Verbieten könne man als Lawinenwarndienst auch Skitouren bei Stufe 4 nicht, aber dezidiert abraten. Und letzteres tue man auch, so Nairz. Vorsicht sei auch für jene geboten, die sich für erfahren halten, schließlich seien von den aktuellen Unglücken auch solche betroffen.

APATIROL-LAWINENABGANG-AUF-EINER-RODELBAHN-BEI-PILL-=.jpg © APA/ZOOM.TIROL

Man habe nach wie vor ein "Altschneeproblem" mit dauerhaften Schwachstellen in der Schneedecke, warnte der Experte. Dies werde zwar "von Tag zu Tag besser", aber rund eine Woche lang bleibe die Situation noch prekär - auch wenn mit Montag Stufe 3, also erhebliche Gefahr, ausgegeben werde. Bei dieser Gefahrenstufe passieren eigentlich erfahrungsgemäß die meisten Lawinenereignisse.

So entstehen Lawinen

Ergiebige Neuschneefälle, starke Erwärmung und Temperaturschwankungen sowie Wind sind die "Baumeister" von Lawinen. Sie sind neben der Setzung der Schneekörner durch Druck und Schwerkraft ausschlaggebend für die Entstehung einzelner Schichten einer Schneedecke.

lawine.jpg © Lawinenwarndienst Salzburg

Je unterschiedlicher die Konsistenzen zweier Lagen sind, desto leichter kann die Bindung "reißen" und dieser Vorgang eine Schneebrettlawine auslösen. Rund 90 Prozent der Lawinenunglücke im skitouristischen Bereich machen derartige Festschneelawinen aus. Besonders Gefahren bringende Schneearten sind der windbeeinflusste Packschnee, sehr wasserhaltiger Pappschnee, Schwimmschnee, der im Bodenbereich wie ein Kugellager wirkt, Eislamellen als eingeschneite Gleitschicht oder etwa Oberflächenreif, der mit Packschnee abgedeckt als höchst gefährliche Zwischenschicht gilt.

Friedlicher Hang als tödliche Falle

Trotz Sicherheitsmaßnahmen, Ausschilderungen und Warnungen sterben nach wie vor die meisten Opfer durch Leichtsinn. Auch ein nach eigener Einschätzung noch so friedlicher Hang kann sich in Sekundenschnelle als tödliche Falle herausstellen. Ist man allein unterwegs, sinkt die Überlebenschance auf Null. Ohne Augenzeugen des Unglücks ist die rechtzeitige Bergung Verschütteter meist unmöglich. Dabei wären rund 90 Prozent der Lawinenunfälle bei Skifahrern vermeidbar - wenn die elementarsten Grundregeln befolgt würden.

APA-HANDOUT--OBERÖSTEREICH-LAWINENABGANG-IN-GOSAU---EIN-VERSCHÜTTETER-GERETTET-=.jpg © APA/BERGRETTUNG OÖ

Durch die großen Zug- und Drehkräfte, die entstehen, da sich Schneemassen an der Oberfläche schneller bewegen als darunter liegende, sterben etwa 20 Prozent aller Verschütteten bereits bis zum Stillstand der Lawine. Nach 30 Minuten leben nur noch rund 30 Prozent, wovon nach weiteren eineinhalb Stunden der Großteil seinen Verletzungen erliegt, erstickt oder erfriert. Mehr als zwei Stunden nach dem Abgang einer Lawine werden laut Experten durchschnittlich nur mehr drei Prozent der Verschütteten lebend geborgen.