20. Mai 2014 | 08:50 Uhr
Bosnien
Landminen-Gefahr völlig unterschätzt
Das Hochwasser hat tausende Landminen aus dem Jugoslawien-Krieg freigelegt: Bosnien hat die Gefahr unterschätzt.
Nach dem verheerenden Hochwasser in Serbien und Bosnien-Herzegowina kommt ein Problem an die Oberfläche, das jahrelang im Verborgenen schlummerte: Landminen sind von den gewaltigen Wassermassen in Bewegung gesetzt worden und bedeuten im stark verminten Bosnien-Herzegowina eine zusätzliche tödliche Gefahr.
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Alma Al-Osta ist gebürtige Bosnierin und war bis vor zwei Jahren bei Handicap International in ihrer Heimat tätig. Heute ist sie Expertin der Organisation für die Gefahr von Landminen und arbeitet von Brüssel aus. Im Interview der Nachrichtenagentur dpa spricht sie über das Desaster, das ihre Heimat heimgesucht hat, und erklärt, warum Bosnien die Gefahr der "wandernden Landminen" lange nicht ernst genug nahm.
Wie ist die Situation derzeit vor Ort?
Das Wetter ist gut, und das Wasser geht in einigen Gegenden zurück. Das ist die gute Nachricht. Ansonsten ist die Lage katastrophal. Es gibt eine riesige Gefahr im Norden und Osten von Bosnien-Herzegowina an den Ufern der Sava. Es scheint so, als sei niemand auf ein solches Desaster vorbereitet gewesen - und darum haben wir jetzt dieses gewaltige Problem mit dem Landminen.
Warum ist das so? Wurden die Minen einfach vergessen?
Nein, niemand hat sie vergessen. Warnschilder erinnern die Menschen dort jeden Tag daran, was immer sie tun. Seit dem Ende des Krieges 1994 ist es das größte Problem, das Bosnien lösen muss - bei allen anderen Schwierigkeiten, die dieses Land hat. Im Jahr 2013 waren rund 2,4 Prozent des Landes vermintes Gebiet. Das hat Auswirkungen auch auf den Tourismus, und die Menschen vor Ort kämpfen jeden Tag damit. Allerdings hat das Land nicht genug Geld für die Beseitigung. Man hat sich fast ausschließlich auf internationale Gelder verlassen - und die werden immer weniger.
Viele der Minen werden nun von den Wassermassen mitgerissen. Wie weit können sie so fortgespült werden?
Wir grenzen an Serbien und Kroatien - beide Länder haben Landminen. Experten vor Ort sagen, die Minen könnten im Grenzgebiet zwischen Serbien und Rumänien landen - oder sogar im Schwarzen Meer. Ich wage nicht zu denken, dass dies wirklich möglich ist. Ich bete, dass das nicht passiert. Es wäre ein wirkliches Desaster für den Nationalpark, für die angrenzenden Länder und eine Schande für die Natur dort.
Wie können sich die Menschen im Katastrophengebiet vor der Minengefahr schützen?
Es gibt ja derzeit zwei große Probleme - einmal die Landminen und dann noch explosive Kriegsüberreste, die in Flüssen deponiert wurden, damals nicht explodierten und jetzt überall verteilt sind. In überfluteten Gebieten wissen wir also nicht mehr, wo Minen zu finden sind, und wir wissen auch nicht, wo und wie wir danach suchen sollen. Zwei Ratschläge werden derzeit an die Bevölkerung ausgegeben: Wenn sie ihre Häuser und Wohnungen säubern, müssen sie sehr vorsichtig sein - und sie sollen nicht durchs Wasser waten.
Die Minen sind schon seit Jahrzehnten ein Problem in Bosnien. War die Gefahr durch eine Überschwemmung jemals so gegenwärtig?
Eine Flut von diesem Ausmaß hatten wir noch nie. Aber es gab schon vorher ein Hochwasser im Jahr 2010. Seitdem sind die wandernden Landminen ein Thema. Aber wir haben das damals noch nicht als eine solch ernst zu nehmende Gefahr erkannt und hätten auch niemals gedacht, dass ein solches Desaster geschehen kann. Darum waren die Prioritäten andere. Dieses Problem geriet einfach in Vergessenheit - und jetzt ist es zu uns zurückgekommen.
Haben Sie bereits von Menschen gehört, die nach dieser Flut von Landminen verletzt wurden?
Bislang zum Glück nicht und ich hoffe, dass es dabei bleibt.
ZUR PERSON: Alma Al-Osta ist gebürtige Bosnierin und war bis vor zwei Jahren bei Handicap International in ihrer Heimat tätig. Heute ist sie Expertin der Organisation für die Gefahr von Landminen und arbeitet von Brüssel aus. Handicap International wurde 1982 von zwei französischen Ärzten gegründet, die kriegsverletzten Menschen in Kambodscha halfen. Heute ist Handicap International nach eigenen Angaben in mehr als 60 Ländern tätig.