05. August 2017 | 08:24 Uhr

Hitzewelle fordert Tote © APA

Im Jahr 2100

Extremwetter könnte zwei Drittel der Europäer töten

Hitzewellen in 99 Prozent der tödlichen Fälle die Ursache.

Wetterbedingte Katastrophen könnten am Ende des Jahrhunderts jährlich etwa zwei Drittel der Europäer beeinträchtigen. Durch extreme Wetterereignisse könnten von 2071 bis 2100 in der EU, der Schweiz, Norwegen und Island jährlich sogar 80.000 bis 240.000 Menschen sterben. Diese drastischen Zahlen stammen aus einer Studie des Joint Research Centre der Europäischen Kommission im italienischen Ispra.

Die Forschergruppe um Giovanni Forzieri veröffentlichte ihre Prognose in der Fachzeitschrift "The Lancet Planetary Health". "Der Klimawandel ist eine der größten globalen Bedrohungen für die menschliche Gesundheit im 21. Jahrhundert", sagte Forzieri. Die Wissenschafter hatten 2.300 Berichte über die Folgen von extremem Wettergeschehen aus den Jahren 1981 bis 2010 ausgewertet. Diese Daten, unter anderem vom weltgrößten Rückversicherer Munich Re, verbanden sie mit Modellberechnungen für Klimaänderungen und die Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahr 2100.

Jährlich bis zu 240.000 Tote

Während der Zeit von 1981 bis 2010 seien im Schnitt 3.000 Europäer durch Wetterkatastrophen gestorben. Ohne weitere Anpassungsmaßnahmen werden es nach Angaben der Forscher von 2041 bis 2070 jährlich etwa 48.000 bis 180.000 sein und von 2071 bis 2100 jährlich etwa 81.000 bis 240.000.

Forzieri und Kollegen bezogen die sieben gefährlichsten Extremwetterereignisse ein: Überschwemmungen an Flüssen und an der Küste, Dürren, Waldbrände, Stürme sowie Kälte- und Hitzewellen. Allerdings sind Hitzewellen mit Abstand am gefährlichsten: Nach den Berechnungen könnten in den letzten 30 Jahren des Jahrhunderts 99 Prozent der wetterbedingten Todesopfer auf hohe Temperaturen zurückzuführen sein. Deshalb ist das Risiko, von extremen Wetterereignissen betroffen zu sein oder gar dadurch zu sterben, sehr ungleich in Europa verteilt: In Südeuropa werde im Durchschnitt nahezu jeder einmal pro Jahr wetterbedingte Katastrophen erleben. In Zentraleuropa (Deutschland, Schweiz, Österreich, Tschechien) werde es 64 Prozent der Bevölkerung treffen, in Nordeuropa nur 36 Prozent.

Todesraten überschreiten jene bei Luftverschmutzung

Für Südeuropa rechnen die Forscher deshalb auch mit den meisten Toten durch Extremwetter von 2071 bis 2100: Jährlich rund 700 pro einer Million Einwohner. Dies übersteige sogar Prognosen für Todesraten durch Luftverschmutzung, schreibt das Team um Forzieri. Von 1981 bis 2010 seien es jährlich noch 11 pro einer Million Einwohner gewesen. In Zentraleuropa könnten zum Ende des Jahrhunderts wetterbedingt 232 Tote pro Jahr und einer Million Einwohner zu beklagen sein, in Nordeuropa lediglich drei.

Die Wissenschafter gehen bei ihren Rechenmodellen davon aus, dass sich der Ausstoß von Treibhausgasen über die Jahre nicht verringert. Nicht berücksichtigt wurden künftige Errungenschaften wie bessere medizinische Versorgung, Klimaanlagen oder Wärmedämmung an Häusern. Ebenfalls außen vor blieb bei den Berechnungen die prognostizierte Alterung der Gesellschaft. Dieser demografische Trend könne die vorgestellten Zahlen sogar noch verschärfen, schreiben die Forscher, da ältere Menschen etwa empfindlicher auf extreme Hitze reagierten.

Klimawandel verlangsamen

"Trotz ihrer Annahmen und Einschränkungen werden die Ergebnisse der Studie für politische Entscheidungsträger und Stadtplaner nützlich sein, um den Klimawandel zu verlangsamen und seine Auswirkungen zu mildern", kommentieren zwei nicht beteiligte Wissenschafter die Studie. Jae Young Lee und Ho Kim von der Seoul National University in Südkorea schreiben in dem Journal allerdings auch, dass die Wettereffekte überschätzt sein könnten, da der Mensch sich veränderten Klimabedingungen anpassen könne.

Zu den Gefahren für die Menschen kommen noch materielle Schäden hinzu. Darauf hatte der Konzern Munich Re erst Mitte Juli hingewiesen. "Wir haben seit 1980 einen deutlichen Anstieg der wetterbedingten schadenrelevanten Ereignisse", sagte Peter Höppe, Chef der Georisikoforschung. "Bei den geophysikalischen Schadenereignissen - also Erdbeben, Vulkanausbrüche und Tsunamis - gibt es dagegen keinen vergleichbaren Anstieg."

Der Konzern habe eine sehr differenzierte Auswertung: "So haben etwa die Hochwasserschäden an Flüssen stark abgenommen. Das liegt an verbessertem Hochwasserschutz." Auf der anderen Seite gebe es einen signifikanten Anstieg der Schäden durch Gewitterereignisse. "Gegen Gewitter kann man sich nicht so gut schützen wie gegen Flussüberschwemmungen, gegen materielle Schäden durch starke Tornados kann man eigentlich gar nichts tun", sagte Höppe und schließt: "Der Klimawandel verursacht in jedem Fall Kosten - entweder durch die erhöhten Präventionskosten oder durch Schäden, wenn die Vorsorge unterblieben oder nicht möglich ist."
 

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