24. September 2019 | 09:49 Uhr

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Weltklimarat-Bericht

Sibirischer Stadt machen schmelzende Permafrostböden zu schaffen

Jakutsk erlebt in IPCC-Bericht geschilderte Risiken durch Klimawandel schon jetzt.

Jakutsk. In seinem aktuellen Sonderbericht über die Ozeane und die weltweiten Eis- und Schneevorkommen warnt der Weltklimarat IPCC auch vor dem Schmelzen der Permafrostgebiete. Welche Folgen das haben kann, erleben die Menschen im sibirischen Jakutsk schon jetzt.
 
Die fortschreitende Erderwärmung bringt hier die Dauerfrostböden zum Schmelzen und bedroht neben der Infrastruktur auch Ölpipelines und Lagerstätten gefährlicher Abfälle. Eduard Romanow zeigt auf eine Stelze unter einem Wohnblock in Jakutsk: "Seit dem vorletzten Jahr hat das Gebäude Schlagseite und neigt sich um rund 42 Zentimeter", warnt der Bauarbeiter und Umweltschutzaktivist. "Es besteht die Gefahr, dass es noch mehr kippt." Bricht die Stütze, sind neun Stockwerke vom Einsturz bedroht.
 

Temperaturanstieg um 2,5 Grad

 
In Jakutsk, einer der kältesten Städte der Welt, stiegen die Durchschnittstemperaturen nach Angaben von Wissenschaftern des Melnikow-Permafrost-Instituts allein während des vergangenen Jahrzehnts um 2,5 Grad Celsius. Die meisten Wohnblocks aus der Sowjetzeit bestehen aus Betonplatten und stehen auf Stelzen, damit sie den Permafrost nicht erwärmen - eine mit Wasser verbundene Erdschicht, die nur im gefrorenen Zustand stabil bleibt.
 
Wenn das Eis durch steigende Temperaturen im Sommer schmilzt, sinken Lehm oder Sand einfach in sich zusammen - egal, ob eine Straße, ein Gebäude, ein See oder eine Schicht fruchtbares Ackerland darauf liegt.
 
Permafrost bedeckt fast ganz Jakutien, eine Region von der fünffachen Fläche Frankreichs im Nordosten Sibiriens, die an den Arktischen Ozean grenzt. Mit rund 300.000 Einwohnern ist Jakutsk die weltweit größte, auf Permafrost gebaute Stadt. Als die älteren Gebäude erbaut wurden, war Klimaerwärmung noch kein Thema.
 

Viele Häuser betroffen

 
In den 1960er-Jahren war es üblich, Stelzen sechs Meter tief in das gefrorene Erdreich zu treiben. Heute reiche das nicht mehr aus, sagt Romanow. Einige Gebäude in Jakutsk mussten bereits abgerissen werden, andere sind voller Risse, durch die die Kälte in die Häuser kriecht. "Ganz Jakutsk ist gefährdet. Die Eigentümer könnten ihren Besitz verlieren, und keiner ist darauf gefasst", warnt Romanow.
 
Als arktisches Land erwärmt sich Russland etwa zweieinhalb Mal schneller als der Rest der Welt. In seinem aktuellen Jahresbericht warnte das russische Umweltministerium, der Rückgang des Permafrosts berge Risiken für Mensch und Natur - für Wasser- und Abwasserkanäle, Ölpipelines sowie Lagerstätten chemischer, biologischer und radioaktiver Abfälle. So sickern Schadstoffe durch zuvor gefrorenen Boden und breiten sich schneller und weiter aus.
 
Michail Grigorjew ist stellvertretender Direktor des Permafrost-Instituts. Sorgen macht er sich vor allem um die südliche Grenze des Permafrosts in Gebieten wie dem ölreichen Westsibirien. Dort sei der Permafrost nicht so kalt, gleichmäßig oder dick, und die Erwärmung könne "zur Verformung von Gebäuden, zu Katastrophen führen".
 
In den Labors des Instituts - einem unterirdischen Netzwerk eisbedeckter Tunnel und Räume - entwickeln Wissenschafter und Ingenieure verbesserte Bautechniken und Möglichkeiten, den Boden bei Erwärmung der Atmosphäre gefroren zu halten.
 
Eine bereits verfügbare Methode ist die Verlegung von vertikalen Kühlrohren um Gebäude herum. Doch die Technologie ist kostspielig und ihre Verwendung im Bauwesen nicht vorgeschrieben, da die Gesetze nicht an die Klimaerwärmung angepasst wurden, betont Wladimir Prokopjew, Abgeordneter im Regionalparlament Jakutiens.
 
In diesem Jahr verabschiedete Jakutien als erstes Gebiet in Russland ein Gesetz, das Vorsorgemaßnahmen gegen den unwiderbringlichen Verlust von Permafrost festschreibt. Prokopjew fordert darüber hinaus Maßnahmen auf nationaler Ebene, denn insgesamt rund 65 Prozent Russlands sind von Permafrost bedeckt: "Wir brauchen ein nationales Gesetz, wenn wir den Permafrost erhalten und schwere Schäden für die Umwelt verhindern wollen."