08. April 2016 | 12:54 Uhr

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Tauzeit im Hochgebirge

Klimawandel: Aus Gletschern werden Seen

In 50 Jahren werden Seen die hochalpine Landschaft prägen.

Wo noch vor rund 200 Jahren Gletscher die hochalpine österreichische Landschaft prägten, breiten sich immer mehr Seen aus: Die Klimaerwärmung lässt die Eispanzer schmelzen und Gletscherseen entstehen. Mehr als 200 haben sich in den vergangenen 150 Jahren gebildet, hat der Salzburger Forscher Jan-Christoph Otto am "Österreichischen Klimatag" in Graz dargelegt.

Klimawandel

Die Auswirkungen des Klimawandels sind in Österreich auch anhand des Rückgangs der Gletscher zu beobachten. Seit 1850 haben die rund 900 österreichischen Gletscher laut der Österreichischen Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) mehr als 50 Prozent ihrer Fläche verloren. Das Jahr 2015 hat einen weiteren Rückgang gebracht. "Der Rückgang führt zu einer Zunahme von Gletscherseen" schilderte der Salzburger Geomorphologe Jan-Christoph Otto im Rahmen der Grazer Klimatagung.

Er untersucht an der Universität Salzburg gemeinsam mit weiteren Forschern aus Österreich und der Schweiz die durch das Abschmelzen der Gletscher ausgelöste Bildung und zukünftige Entwicklung von glazialen Seen in Österreich. Im Zuge des Projektes "Futurelakes" hat das Team zunächst ein Verzeichnis ("Inventar") aller Seen oberhalb von 1.700 Metern Seehöhe erstellt.

265 neue Seen seit 1850
Die 1.626 kartierten Seen decken eine Wasserfläche von rund 25 Quadratkilometer ab. Durch die Verknüpfung mit den österreichischen Gletscherinventaren seit 1850 konnten die Forscher auf ihre Entstehungszeit rückschließen: Demnach sind seit 1850 in Österreich 265 neue Gletscherseen entstanden. "Mehr als 200 sind weniger als 150 Jahre alt und die Daten zeigen, dass die Zahl der neu entstandenen Seen seit Ende der 1970er-Jahre zunimmt", so der Projektleiter.

Erosion unter dem Eis
Die Becken der Gletscherseen sind eine Folge der Erosion, die unter dem Eis eine Senke aushöhlen kann. In dieser kann durch das weitere Abschmelzens des Eises ein See entstehen. Alternativ kann sich Wasser hinter einer Barriere aus Moränenschutt oder Eis, oder einer Massenbewegung ansammeln. Ziel der im Projektteam versammelten Glaziologen, Geomorphologen und Hydrologen ist es auch, in die Zukunft der Seenbildung unter den österreichischen Gletschern zu blicken: "Wir modellieren den Felsuntergrund mithilfe von digitalen Geländemodellen, um mögliche Vertiefungen zu erkennen", so der Experte.

150 neue Seen möglich
"Die ersten Ergebnisse deuten an, dass sich unter den Gletschern mehr als 150 Vertiefungen befinden", schilderte Otto. Falls sie tatsächlich Gletscherseen werden, könnten sie ein Gesamtvolumen von 230 Millionen Kubikmetern aufstauen. Dementsprechend wird laut Otto das hochalpine Landschaftsbild in 50 Jahren ein ganz anderes sein: "Die weiße Farbe wird vielerorts fehlen, dafür werden Grau und Grün das Bild bestimmen", blickte der Geomorphologe in die Zukunft.

Das Projekt stellt die Datenbasis für die Entwicklung möglicher Reaktions- und Anpassungsstrategien auf den künftigen Landschaftswandel bereit. Denn die schmelzenden Gletscher und neuen glazialen Seen prägen nicht nur das Landschaftsbild neu: "Diese Seen können wichtige ökologische und sozio-ökonomische Auswirkungen auf die Hochgebirgssysteme haben", wie der Forscher betonte.

"Diese reichen bis zur Entstehung von Naturgefahren", erläuterte Otto. Steine oder Eis könnten beispielsweise eine Schwall- oder Flutwelle mit katastrophalen Auswirkungen verursachen. Staudämme könnten die Gefahr zwar bannen und gleichzeitig der Produktion von Wasserkraft dienen. Doch das würde die Optik und den Charakter der Hochgebirgsregion wieder deutlich verändern, erklärte der Projektleiter.